Geschäftsmodell: Digitalisieren die Automobilhersteller ihre Geschäftsmodelle schnell genug?

Können die Automobilhersteller ihre datengetriebenen Geschäftsmodelle schnell genug ausbauen?

Die Praxis zeigt jedoch, dass bisher fast alle deutschen OEMs an ihrer eigenen Plattform basteln. Das könnte neben der Tradition, keine gemeinsame Sache zu machen, auch damit zu tun haben, dass die Lehre der Disruption in München, Ingolstadt, Stuttgart und Wolfsburg gehört wurde. Sie besagt: Die Macht hat, wer die Plattform hat. Die Macht hat auch, wer über die technischen Fahrzeugdaten verfügt. Deshalb ist bereits ein Kampf im Gange, in dem Versicherer, Zulieferer, Autohandel und nicht zuletzt Justizbehörden mitmischen.
Das ruft neue Spieler auf den Plan. So will der Entwicklungsdienstleister Edag mit einem neuen Geschäftsmodell Fahrzeugdaten herstellerübergreifend zentral bündeln und auf Basis von Analytik vermarktungsfähige Datenpakete für Automotive- und Non-Automotive-Partner zur Verfügung stellen. In der Vergangenheit habe es Schwierigkeiten gegeben, Data Lakes schnell, effizient und global bereitzustellen, unter anderem weil man sich strenge Sicherheitsauflagen auferlegt hatte, meint Ingo Finck, Mehls Kollege und Experte für Datenanalyse bei Capgemini. „Man wird sich hier mehr öffnen gegenüber Amazon und Microsoft. Wir sehen die ersten deutschen Premiumhersteller, die konkret mit diesen Plattformanbietern kooperieren möchten“, führt Finck aus. Er sieht einen klaren Trend, sich flexibler aufzustellen und das Thema Data Lakes zu skalieren. Rechtsabteilungen würden diese Strategie mittlerweile zunehmend freigeben. Schon lange ist klar, dass es keinen Sinn macht, die gesamten Rohdaten ins Backend zu übertragen.
Für dislozierte Lösungen im Fahrzeug, die intelligent entscheiden, welche Daten in die Data Lakes übertragen werden sollen, gibt es erste Piloten. Doch obwohl es mit der Infrastruktur für die Daten besser klappt, sagt das wenig über den Erfolg datengetriebener Geschäftsmodelle aus. „An einem fehlt es ganz massiv: Es sind schlicht nicht die richtigen und relevanten Daten im Data Lake, die etwas über die Kunden und ihre Bedürfnisse aussagen“, konstatiert Ingo Finck. Sie liegen in digitalen Ökosystemen, auf die die Hersteller schwer Zugriff haben. Derzeit stammen die Daten, die ein OEM in seinen Systemen verarbeitet, zum Beispiel aus Verkauf, Herstellung und Garantieabwicklung. „Stand heute werden die Daten von Händlern kaum genutzt“, stellt Finck fest.
Eine Lücke, die seit Jahren bekannt ist. Noch immer werden auch die Kundendaten aus dem Finanzierungsbereich der Autobanken nicht eingesetzt. Dass rechtliche Probleme dies verhindern, diene nur als Feigenblatt dafür, ein eigentlich lösbares Problem nicht anzugehen, meinen einige Experten. „Ein großes Problem bei der Datenthematik sind die Silos der Marken und Divisionen. In ihnen sind die Daten heute noch immer gefangen. Niemand schafft es, einen echten Data Lake auf Konzernebene mit barrierefreiem Zugang zu allen Datenquellen zu betreiben“, bestätigt auch Experte Gabriel Seiberth von Accenture. Zwar hätten die Hersteller mehr Daten als früher, doch vom großen Anspruch einer 360-Grad-Kundensicht seien sie noch immer weit entfernt. Eines ist sicher: Die Daten sind nur dann etwas wert, wenn sie kontextualisiert oder personalisiert werden können.
Ohne Kontextverständnis geht es nicht. „Für Services mit einer ‚situativen Relevanz‘ muss man die Bedürfnisse des Kunden und die Relevanz eines Angebots in einem einzigen Augenblick verstehen“, erklärt Ingo Finck. Dazu gehört es zu wissen, ob jemand beruflich oder privat unterwegs ist, was seine Gewohnheiten sind, wann und wie lang er schon unterwegs ist. Sonst reiche es nur für unintelligente Services, zum Beispiel ein Angebot für Winterreifen im Herbst. „Es gibt bereits viele Ideen und Services, aber die Unternehmen tun sich schwer, das zu skalieren und auf die Straße zu bringen“, meint Finck.

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Quelle: www.car-it.com